Chitra: Ein Spiel in einem Aufzug
出版:Chitra: Ein Spiel in einem Aufzug
Chitra: Ein Spiel in einem Aufzug-1
RABINDRANATH TAGORE
CHITRA
*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG
*
KURT WOLFF VERLAG
LEIPZIG
Einbandzeichnung von Walter Tiemann.
Dritte unveränderte Auflage 1918.
Die erste Auflage erschien 1914.
Berechtigte deutsche Übertragung von
ELISABETH WOLFF-MERCK
nach der von Rabindranath Tagore selbst
veranstalteten englischen Ausgabe
VORBEMERKUNG
Dieses lyrische Drama wurde vor ungefähr 25 Jahren geschrieben. Es setzt
die Kenntnis der hier folgenden Fabel aus dem Mahabharata voraus:
Während der Wanderungen, die Arjuna
in Erfüllung eines Bußgelübdes unternahm, kam er nach Manipur. Dort sah
er Chitrāngadā, die schöne Tochter von Chitravāhana, dem König des Landes,
und von ihrer Anmut überwältigt, bat er den König um ihre Hand. Chitravāhana
fragte ihn nach seiner Herkunft. Auf die Antwort, er sei Arjuna der Pandara, erzählte
der König ihm, daß einer seiner Ahnen, Prabhanjana vom königlichen
Stamme von Manipur, lange kinderlos geblieben
war. Um einen Erben zu erhalten, legte er sich strenge Bußübungen auf. Die
Strenge seines Lebens fand Gnade vor Shiva, und der Gott gewährte ihm und
jedem seiner Nachkommen ein Kind.
Es geschah aber, daß das versprochene Kind stets ein Knabe war. Er, Chitravāhana,
war der Erste, dem nur eine Tochter, Chitrāngadā, gewährt war, um das Geschlecht zu erhalten.
Er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht. —
Der König fährt in der Erzählung fort:
»Der einzige Sohn, den sie gebären wird, muß der Erhalter meines Geschlechts
sein, und diesen Sohn verlange ich als Kaufpreis für die Einwilligung in die Heirat.
Wenn du willst, kannst du sie unter dieser Bedingung haben.« Arjuna gab das
Versprechen, nahm Chitrāngadā zum Weibe und lebte mit ihr drei Jahre in ihres
Vaters Hauptstadt. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, umarmte er sie liebevoll,
nahm Abschied von ihr und ihrem Vater und setzte seine Wanderung fort.
PERSONEN
Götter:
Madana (Eros).
Vasanta (Lycoris).
Sterbliche:
Chitra, Tochter des Königs von Manipur.
Arjuna, ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder
Kriegerkaste und lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.
Dorfleute aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.
ERSTE SZENE
IM TEMPEL
Chitra
Bist Du der Gott mit den fünf Pfeilen,
der Gott der Liebe?
Madana
Ich war der Erstgeborene im Herzen des Schöpfers. Ich binde mit Fesseln des
Schmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der Menschen!
Chitra
Ich weiß, ich kenne jenen Schmerz und jene Fesseln! — Und wer bist Du, mein
Herr?
Vasanta
Ich bin sein Freund — Vasanta — der
König der Jahreszeiten. Tod und Alter würden die Welt bis ins Mark zerfressen,
folgte ich ihnen nicht, um sie beständig zu bekämpfen. Ich bin die Ewige Jugend.
Chitra
Ich beuge mich vor Dir, Vasanta, mein Herr.
Madana
Doch welch strenges Gelübde bindet Dich, schöne Fremde? Warum läßt Du
Deine frische Jugend welken in Buße und Demütigung? Solch Opfer ist dem Dienst
der Liebe fremd. Wer bist Du, und was ist Dein Gebet?
Chitra
Ich bin Chitra, die Tochter aus dem
königlichen Hause von Manipur. Shivas
göttliche Gnade versprach meinem königlichen Ahnherrn eine ununterbrochene
Reihe männlicher Nachkommen. Aber das Wort des Gottes vermochte nicht,
den Lebensfunken in meiner Mutter Leib zu wandeln, so unbezwingbar war meine
Natur, obschon ich ein Weib bin.
Madana
Ich weiß, darum erzieht Dich Dein Vater wie einen Sohn. Er hat Dich gelehrt mit
dem Bogen umzugehen und Dich in allen Pflichten eines Königs unterwiesen.
Chitra
Ja, darum trage ich männliches Gewand und habe die Abgeschiedenheit des
Frauengemaches verlassen. Ich weiß nichts von Frauenlist, die die Herzen gewinnt.
Meine starken Hände können den Bogen spannen, aber ich habe die Kunst
des Liebesgottes nicht erlernt; das Spiel der Augen ist mir fremd.
Madana
Das erlernt sich von selbst, Du Schöne. Die Augen brauchen darin nicht unterrichtet
zu werden. Das weiß der am besten, der von ihnen ins Herz getroffen wurde.
Chitra
Auf der Suche nach Wild wanderte ich eines Tages einsam durch den Wald
am Ufer des Purna-Flusses. Mein Roß band ich an einen Stamm und drang in's
dichte Gestrüpp, der Spur eines Wildes folgend. Ich fand einen schmalen,
gewundenen Pfad, der sich durch das Dämmer verschlungener Zweige schlang.
Die Blätter erzitterten vom Grillengezirp. Plötzlich erspähte ich auf meinem Weg
einen Mann, der auf einem Lager trockenen Laubes ruhte. Hochmütig befahl ich
ihm, mir Platz zu machen, aber es kümmerte ihn nicht. Da stach ich ihn verächtlich
mit der scharfen Spitze meines Pfeils. Er sprang auf, stark und ebenmäßig an
Wuchs, gleich einer Flamme, die plötzlich aus einem Aschenhaufen züngelt.
Ein belustigtes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, vielleicht ob meines knabenhaften
Anblicks. Da — zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich
Weib und wußte, daß ein Mann vor mir stand.
Madana
In glückbegünstigter Stunde verkünde ich Mann und Weib die erhabene Lehre:
Erkennet einander. — Was geschah dann?
Chitra
Voll Angst und Staunen fragte ich ihn: »Wer bist Du?« »Ich bin Arjuna«, sagte
er, »aus dem großen Stamme der Kuru«. Ich stand wie versteinert und vergaß mich
zu verneigen. War das wirklich Arjuna, der Abgott meiner Träume, der Einzige,
Große! Schon lange kannte ich sein Gelöbnis, zwölf Jahre in Keuschheit zu leben.
Mein junger Ehrgeiz hatte mich manchen Tag angestachelt, mit ihm eine Lanze zu
brechen, ihn verkappt zum Zweikampf
zu fordern und ihm meine Waffenkunst
zu beweisen. Ach töricht Herz, wohin entfloh Dein Stolz? Könnt' ich meine
Jugend mit ihren Sehnsüchten hingeben, um Staub zu sein unter Deinen Füßen,
wahrlich eine köstliche Gnade dünkte mir das. Ich weiß nicht, in welchem Strudel
der Empfindung ich mich verlor, als ich ihn plötzlich zwischen den Bäumen entschwinden
sah! — Du töricht Weib, du grüßtest ihn nicht und sprachest kein
Wort, noch batest du ihn um Verzeihung, sondern standest wie ein ungeschickter
Tölpel, während er verächtlich hinwegschritt!...
Am nächsten Morgen legte ich meine Männerkleidung ab und schmückte
mich mit Armbändern, Fußringen, einer Gürtelkette und einem Gewand aus purpurner
Seide. Das ungewohnte Kleid
schmiegte sich fest um meinen bebenden Leib; aber ich beschleunigte mein Suchen
und fand Arjuna in Shiva's Waldtempel.
Madana
Vollende Deine Erzählung. Ich bin der herzgeborene Gott, und ich verstehe das
Geheimnis dieser Triebe.
Chitra
Nur undeutlich vermag ich mich zu erinnern, was ich sagte, und was ich zur
Antwort bekam. Heiß' mich nicht alles erzählen. Scham überwältigte mich wie
ein Donnerschlag und konnte mich doch nicht zerschmettern, so durchaus hart
bin ich, so männlich. Als ich heimwärts
schritt, stachen mich seine letzten Worte
wie glühende Nadeln ins Ohr: »Ich habe Keuschheit gelobt. Ich kann Dein Gemahl
nicht sein!« O, um das Gelübde eines Mannes! Sicherlich weißt Du, o Gott
der Liebe, daß zahllose Heilige und Weise den Preis ihrer lebenslangen Buße hingegeben
haben um eines Weibes willen. Ich brach meinen Bogen entzwei und verbrannte
meine Pfeile im Feuer. Ich haßte meinen starken, geschmeidigen Arm, gezeichnet
vom Spannen des Bogens. O Liebe, Liebe, Du hast tief in den Staub
gebeugt den nichtigen Stolz meiner männlichen Stärke, und all meine Manneszucht
liegt zermalmt zu Deinen Füßen. Nun lehre mich Deine Gebote. Gib mir
die Kraft der Schwachen und die Waffe der wehrlosen Hand.
Madana
Ich will Dein Freund sein. Ich will den weltenbezwingenden Arjuna vor Dein Angesicht
bringen, ein Gefangener, der den Richtspruch seiner Empörung aus Deiner Hand empfangen soll.
Chitra
Stünde mir nur die Zeit zu Gebot, ich könnte allmählich sein Herz gewinnen
und brauchte der Götter Hilfe nicht. Zur Seite würde ich ihm stehen als Gefährte,
die wilden Rosse seines Kriegswagens lenken, die Freuden der Jagd mit ihm
teilen. Zur Nacht hielt ich Wache am Eingang seines Zeltes und hülfe ihm, die
großen Pflichten eines Kshatriya erfüllen,
die Schwachen zu befreien und Recht zu
sprechen, wo es not tut. Sicherlich käme der Tag, an dem er mich erblicken und
verwundert fragen würde: »Wer ist dieser Knabe? Ist einer meiner Sklaven aus
einem früheren Leben, meinen guten Taten gleich, mir gefolgt ins Diesseits?« Ich
bin nicht das Weib, das seine Verzweiflung mit nächtlichen Tränen in einsamer
Stille nährt, sie täglich hinter geduldigen Lächeln verbirgt, als Witwe geboren.
Die Blüte meines Verlangens soll nicht in den Staub sinken, ehe sie zur Frucht
gereift ist. Aber es ist die Arbeit eines Lebens, Verständnis zu finden und Ehre
zu erlangen für sein eigenstes Ich. Darum bin ich an Deine Tür gekommen, Du,
weltenüberwindende Liebe, und Du, Vasanta,
jugendlicher Gott der Jahreszeiten,
nimm von meinem jungen Körper die angeborene Ungerechtigkeit der Häßlichkeit.
Für einen einzigen Tag mache mich wunderbar schön, so schön wie die mit
einem Mal in meinem Herzen erblühte Liebe. Gib mir nur einen einzigen Tag
makelloser Schönheit, und ich will einstehen für die Tage, die da kommen.
Madana
Prinzessin, Dein Gebet sei erhört!
Vasanta
Nicht nur für einen kurzen Tag, sondern für ein ganzes langes Jahr soll der
Frühlingsblüten Lieblichkeit sich um Deine Glieder schmiegen.
ZWEITE SZENE
IM WALD
Arjuna
Träumte mir oder war Wirklichkeit, was ich am See sah? Im sinkenden Schatten
des Abends saß ich auf moosigem Grund und dachte vergangener Jahre,
als aus dem bergenden Dunkel der Blätter langsam eine Erscheinung trat in der vollkommenen
Gestalt eines Weibes. Sie stand auf einem weißen, flachen Stein am
Rande des Wassers. Es schien, als müsse das Herz der Erde sich weiten vor Freude
unter ihren nackten weißen Füßen. Mir deuchte, die zarte Umhüllung ihres
Körpers wollte sich in Verzückung auflösen
in Luft, wie der goldene Frühnebel
vom schneeigen Gipfel des östlichen Berges schmilzt. Sie beugte sich über den
schimmernden Spiegel des Teiches und erblickte ihr Antlitz darin. Sie schrak zurück
und stand still, dann lächelte sie, löste mit einer nachlässigen Bewegung
des linken Arms ihr Haar, das bis zu ihren Füßen zur Erde niederglitt. Sie entblößte
ihre Brust und betrachtete ihre makellos geformten Arme erfüllt von Zärtlichkeit
für ihren Körper. Sie neigte den Kopf und sah ihre süße, blühende Jugend und das
zarte Erröten ihrer flaumigen Haut. Sie strahlte in freudiger Überraschung. So
würde die weiße Lotosblume den ganzen Tag über sich staunen, könnte sie des
Morgens beim Erwachen, ihren Hals beugen
und ihr Abbild im Wasser sehn. Aber
einen Augenblick später wich das Lächeln von ihrem Antlitz, und ein Schatten von
Trauer stieg in ihren Augen auf. Sie band ihre Haarflechten auf, zog den Schleier
um ihre Schultern und schritt leise seufzend hinweg, wie ein schöner Abend,
der in Nacht versinkt. Die erhabene Erfüllung aller Sehnsucht schien sich mir
in einem Blitz geoffenbart zu haben und verlosch dann ... Aber wer bewegt die Türe?
(Chitra tritt ein, in Frauenkleidern.)
Ah! sie ist's! Stille mein Herz!...
Fürchte nichts, Herrin! Ich bin ein Kshatriya.
Chitra
Edler Herr, Du bist mein Gast. Ich
wohne in diesem Tempel. Ich weiß nicht,
wie ich Dir Gastfreundschaft erzeigen
kann.
Arjuna
Schöne Frau, Dein Anblick allein ist die höchste Gastfreundschaft. Wenn Du
mir's nicht verdenken willst, möchte ich Dich etwas fragen.
Chitra
Es sei Dir gewährt.
Arjuna
Welch strenges Gelübde hält Dich in diesen einsamen Tempelmauern gefangen
und beraubt die Sterblichen Deines lieblichen Anblickes?
Chitra
Ich hege einen geheimen Wunsch in
meinem Herzen, für dessen Erfüllung ich täglich Gebete zu Shiva sende.
Arjuna
Ach, was kannst Du verlangen, die Du das Verlangen der ganzen Welt bist? Von
dem östlichen Hügel, auf dessen Gipfel die Morgensonne zuerst ihren feurigen
Fuß setzt, bis ans Ende des Abendlands bin ich gewandert. Ich habe das Köstlichste,
Schönste und Größte der Erde gesehen. Mein Wissen soll Dein sein, nur
sage mir, was oder wen Du suchst.
Chitra
Ihn, den ich suche, ihn kennen alle.
Arjuna
Wer mag dieser Liebling der Götter
sein, der Dein Herz gefangen nahm?
Chitra
Er ist der Größte aller Helden, ein Sproß des höchsten Herrscherhauses.
Arjuna
Herrin, opfere nicht diesen Schatz von Schönheit, der Dein ist, auf dem Altar
eines falschen Ruhmes. Unwahres Gerücht verbreitet sich von Mund zu Mund,
wie der Nebel im frühen Morgendämmer ehe die Sonne aufgeht. Sage mir, wer ist
der erhabene Held aus höchstem königlichem Stamm?
Chitra
Einsiedler, der Ruhm andrer Männer erfüllt Dich mit Neid. Weißt Du nicht,
daß der Ruhm des königlichen Hauses der Kuru über die ganze Welt verbreitet ist?
Arjuna
Das Haus der Kuru!
Chitra
Und hast Du nie den größten Namen dieses weitgerühmten Hauses gehört?
Arjuna
Laß ihn mich von Deinen eigenen Lippen hören.
Chitra
Arjuna, der Welteroberer. Ich habe diesen unsterblichen Namen von den
Lippen der Menge abgelesen und ihn sorgfältig in meinem Herzen verborgen. Einsiedler,
was blickst Du so verwirrt drein? Trägt dieser Name nur trügerischen
Glanz? Sag es, und ich will nicht zögern,
den Schrein meines Herzens aufzubrechen
und den falschen Edelstein in den Staub zu werfen.
Arjuna
Ob auch sein Name und Ruhm, sein Mut und seine Tapferkeit wahr oder
falsch sind, um des Mitleids willen verbanne ihn nicht aus Deinem Herzen,
denn er kniet zu Deinen Füßen — in diesem Augenblick.
Chitra
Du, Arjuna!
Arjuna
Ja, der bin ich, ein vor Liebe verschmachteter Bettler an deiner Tür.
Chitra
So ist es nicht wahr, daß Arjuna das Gelübde zwölf Jahre langer Keuschheit getan hat?
Arjuna
Du hast meinen Schwur gelöst wie der Mond den nächtlichen Schwur der Dunkelheit.
Chitra
Scham über Dich! Was sahst du in mir, das Dich Deinem eigenen Ich untreu
werden ließ? Wen suchst du in diesen dunklen Augen, in diesen milchweißen
Armen, wenn Du sie mit dem Preis Deiner Ehre zu bezahlen bereit bist? Nicht mein
wahres Selbst, das weiß ich. Wahrlich das kann nicht Liebe sein, nicht des
Mannes tiefste Ehrfurcht vor dem Weib! Wehe, daß der Körper, diese zerbrechliche
Hülle, uns blendet, das Licht der
unsterblichen Seele zu schauen! Ja, Arjuna,
nun weiß ich gewiß, falsch ist der Ruhm Deines Heldentums.
Arjuna
O, ich fühle wie eitel der Ruhm ist und der Stolz der Tapferkeit! Alles scheint
Traum. Du allein bist vollkommen, Du bist der Reichtum der Welt, das Ende
aller Armut, das Ziel alles Strebens, das Weib! Andere Frauen gibt's, langsam und
schwer zu erkennen, aber Dich einen Augenblick lang zu sehn, heißt höchste
Vollendung schauen, jetzt und in Ewigkeit.
Chitra
Ach nicht ich bin's, nicht ich, Arjuna! Es ist das Trugbild eines Gottes. Geh',
geh' mein Held, geh'. Frei' nicht die Lüge, opfre dein großes Herz nicht einer Täuschung. Geh'.
DRITTE SZENE
IM TEMPEL
Chitra
Nein, unmöglich ist's den brennenden Blick der hungrigen Seele auszuhalten,
der mit Händen dich umklammert, zu fühlen, wie das Herz sich müht, die Fesseln
zu sprengen, und den wilden Schrei, der sich ihm entringen will — und den
Liebenden dann hinweg zu senden wie einen Bettler! Unmöglich ist's!
(Madana und Vasanta treten auf.)
Ach, Gott der Liebe, welch furchtbares Feuer hast Du in mich gesenkt! Ich verbrenne,
versenge, was ich berühre.
Madana
Ich wünsche zu wissen, was in vergangener Nacht geschah.
Chitra
Auf ein Lager von Gras, übersät mit
Frühlingsblüten, legte ich mich am Abend
nieder und gedachte des wunderbaren
Lobgesangs meiner Schönheit, den ich
von Arjuna gehört. Tropfen nach Tropfen
trank ich den Honig, den ich am Tage
gesammelt, Vergangenes und Zukünftiges
war vergessen. Ich fühlte mich der Blume
verwandt: ihr sind nur flüchtige Stunden
vergönnt, dem summenden Schmeicheln,
dem Flüstern und Murmeln der Wälder
zu lauschen. Dann muß sie die Augen
vom Himmel wenden, ihr Haupt beugen
und ihren Atem aushauchen im Staub,
klaglos den kurzen Traum eines vollkommenen
Augenblicks beenden, der
nicht Vergangenheit noch Zukunft kennt.
Vasanta
Ein grenzenloses Leben voller Ruhm
kann blühen und sich erschöpfen an
einem Morgen.
Madana
Wie Ewigkeits-Sinn im kleinsten Bruchteil
eines Liedes sein kann.
Chitra
Die südliche Brise wiegte mich in Schlaf.
Von dem blühenden Malati-Hain über
mir tropften schweigend Küsse auf mich
nieder. Jede Blume wählte sich ein Lager
zum Sterben, in meinem Haar, auf meiner
Brust oder meinen Füßen. Ich schlief.
Und in der Tiefe meines Schlafes war
mir plötzlich, als ob ein durchdringender,
gieriger Blick meinen Körper berühre,
wie der spitzige, stechende Finger der
Flamme. Ich sprang auf und sah den Einsiedler
vor mir stehen. Der Mond war
westwärts gewandert und lugte durch die
Blätter, um das Wunder zu sehen, das
durch göttliche Kunst in zerbrechlicher
Menschlichkeit erstanden war. Die Luft
war schwer, duftgeschwängert, die Stille
der Nacht klang vom Grillengezirp, regungslos
lag das Spiegelbild der Bäume
auf dem See. Und mit seinem Stab in der
Hand stand der Einsiedler groß, aufrecht
und schweigend wie ein Baum des Waldes.
Mir war, da ich die Augen aufschlug,
als sei ich abgeschieden von aller Wirklichkeit
des Lebens, und es vollziehe sich
an mir eine Wiedergeburt im Land der
Träume. Scham fiel von mir und glitt
wie ein gelöstes Gewand auf meine Füße
nieder. Ich hörte seinen Schrei — »Geliebte,
einzig Geliebte!« Und all' meine
vergangenen, vergessenen Leben schmolzen
zu einem und riefen ihm Antwort
zu: »Nimm mich, nimm mich ganz zu
eigen!« Und ich breitete meine Arme nach
ihm aus. Der Mond sank hinter den Bäumen.
Ein dunkler Vorhang bedeckte alles,
Himmel und Erde, Zeit und Raum, Lust
und Schmerz, Leben und Tod schmolzen
in Eins in unsagbarer Verzückung....
Mit dem ersten Morgenstrahl, dem ersten
Vogelzwitschern richtete ich mich auf und
blieb, auf den linken Arm gestützt, sitzen.
Der Einsiedler lag schlafend, ein unbekümmertes
Lächeln krümmte sich um
seine Lippen, wie der wachsende Mond
am Morgen. Der Dämmerung rosiges Glühen
fiel auf seine edle Stirn. Ich seufzte,
stand auf und zog die breitblättrigen Lianen
zusammen, um sein Gesicht vor der
flutenden Sonne zu schützen. Ich schaute
umher und sah die gleiche alte Erde. Ich
erinnerte mich, was ich gewesen und
rannte, rannte wie ein Reh, das seinen
eigenen Schatten fürchtet, den Waldpfad
entlang, den Stephali-Blumen bedeckten.
Ich fand einen einsamen Winkel, setzte
mich nieder, barg mein Gesicht in beiden
Händen, um zu weinen und zu klagen.
Doch meine Augen blieben tränenlos.
Madana
Weh über Dich, Tochter der Sterblichen!
Ich stahl aus den göttlichen Speichern
den duftenden Wein des Himmels, gab ihn, eine irdische Nacht gefüllt bis
zum Rande, in Deine Hände, auf daß Du tränkest — und immer hör' ich noch diesen Schrei der Qual!
Chitra
(bitter)
Wer trank ihn? Des Lebens seltenste
Erfüllung, erste Liebesumarmung bot
man mir dar und entriß sie wieder meiner
Sehnsucht? Diese erborgte Schönheit,
die Falschheit, die mich umhüllt, sie werden
von mir gleiten, wie Blüten im Wind
entblättern, und die einzig sichtbare Erinnerung
jener süßen Vereinigung mitnehmen,
und voll Scham über seine Armut
wird das Weib weinend sitzen —
Tag und Nacht. Gott der Liebe, diese
verfluchte äußere Gestalt begleitet mich
Tag und Nacht, wie ein Dämon, und beraubt
mich allen Liebeslohnes — all der
Küsse, nach denen ich verschmachte.
Madana
Ach, umsonst war Deine einzige Nacht! Die Barke der Erfüllung kam in Sicht,
aber die Wellen ließen sie das Ufer nicht berühren.
Chitra
Der Himmel war meinem Griff ganz nahe und ich vergaß für Augenblicke, daß
ich ihn noch nicht erreicht hatte. Aber als ich des Morgens aus meinem Traum
erwachte, fand ich im eigenen Körper die Rivalin. Nun ward mir die verhaßte
Pflicht, sie täglich zu schmücken, zum
Geliebten zu schicken und zu sehen, wie er sie liebkoste. O Gott, nimm Dein Geschenk
zurück!
Madana
Aber wie willst Du vor Deinen Geliebten treten, wenn ich es von Dir nehme?
Ist es nicht grausam, den Becher von seinen Lippen zu reißen, nachdem er
kaum einen Zug der Lust getan? Wie ärgerlich wirst Du ihm sein?
Chitra
Und doch wäre es besser so. Ich will ihm
meine wahrhaftige Gestalt zu erkennen
geben, eine edlere Tat, als in dieser Maske
zu leben. Wenn er mich auch verstößt
und verschmäht, wenn er mein Herz auch
bricht — schweigend will ich's tragen.
Vasanta
Hör' meinen Rat. Wenn die blumenerfüllte
Jahreszeit vergangen, kommt der
Herbst und mit ihm der Triumphzug der
Früchte. Die Zeit wird kommen, da die
überreife Blume des Leibes sich vergehend
neigt. Dann wird Arjuna die bleibende
fruchtgewordene Wahrheit aus
Dir voll Glück hinnehmen. O Kind, geh'
zurück zu Deiner rasenden Feier.
VIERTE SZENE
IM WALD
Chitra
Warum beobachtest Du mich, mein Krieger?
Arjuna
Ich sehe zu, wie Du den kleinen Kranz windest. Anmut und Geschick, die Zwillingsbrüder,
spielen tanzend auf Deinen Fingerspitzen. Ich sehe zu und denke.
Chitra
Was denkst Du, Herr?
Arjuna
Ich denke, daß Du mit der gleichen
schwebenden Berührung und Süßigkeit
die Tage meiner Verbannung in einen
unsterblichen Kranz windest, um mich
zu meiner Heimkehr damit zu krönen.
Chitra
Heimkehr! Diese Liebe ist nichts für
ein Heim!
Arjuna
Nichts für ein Heim?
Chitra
Nein, sprich nie davon. Nimm mit in
Dein Heim das Bleibende, Starke. Laß
die kleine wilde Blume an ihrem Geburtsort,
laß sie dort in Schönheit sterben,
wenn der Tag sich neigt, mit all den welkenden
Blumen und den modernden
Blättern. Nimm sie nicht mit in die Halle
Deines Palastes, um sie dort auf den
steinernen Boden zu werfen, der kein
Erbarmen für Welken und Vergehen
kennt.
Arjuna
Sieht so unsere Liebe aus?
Chitra
Ja, so und nicht anders! Was soll das
Klagen? Was sich für müßige Tage schickt,
sollte sie nicht überdauern. Lust wandelt
sich in Schmerz, wenn ihr die Tür verschlossen
ist, aus der sie scheiden soll.
Nimm meine Liebe hin und halte sie, so
lange sie währen darf. Laß nicht des
Abends satte Zufriedenheit mehr fordern,
als das morgendliche Verlangen ernten
kann ... Der Tag ist vorüber. Nimm dies
Blumengewinde. Ich bin müde. Nimm
mich in Deine Arme, Geliebter, und laß
alles eitle unzufriedene Gezänk verstummen
in der süßen Vereinigung unserer
Lippen.
Arjuna
Still, horch, Geliebte, der Klang der
Gebetsglocken aus dem fernen Dorftempel
gleitet auf der Abendluft über die
schweigenden Wipfel.
FÜNFTE SZENE
IM TEMPEL
Vasanta
Ich kann nicht Schritt mit Dir halten,
mein Freund! Ich bin müde. Schwer ist
die Pflicht, das Feuer in Glut zu halten,
das Du entzündet hast. Schlaf überkommt
mich, der Fächer entfällt meiner
Hand, und kalte Asche bedeckt die Glut.
Ich fahre wieder auf aus meinem Schlummer
und rette die träge Flamme, soweit
es in meiner Macht steht. Aber so kann
es nicht weiter gehen.
Madana
Ich weiß, Du bist unbeständig wie ein
Kind. Ewig ruhelos ist Dein Spiel im
Himmel und auf Erden. Was Du in langen
Tagen aufgebaut mit endloser Sorge
für jeden Bruchteil, in einem Augenblick
zerstörst Du es wieder, ohne Bedauern.
Aber unsere Arbeit ist heut vollendet.
Freudengeflügelte Tage fliehen flüchtig
dahin, und das sich neigende Jahr vergeht
mit berückendem Blühen.
SECHSTE SZENE
IM WALD
Arjuna
Ich erwachte am Morgen und fand
meine Träume in einen Edelstein verschmolzen.
Ich hatte keinen Schrein, ihn
darin zu verschließen, keine Königskrone,
in die ich den Stein hätte fassen können,
keine Kette hatte ich, ihn daran zu hängen,
und doch brachte ich's nicht übers
Herz, ihn wegzuweisen. So halte ich ihn,
und mein Arm, der Arm eines Kshatriya,
vergißt über müßigem Tun seine Pflicht.
(Chitra tritt ein.)
Chitra
Sage mir Deine Gedanken, Herr!
Arjuna
Meine Gedanken sind heute auf die
Jagd gerichtet. Sieh, wie der Regen in
Strömen herniederstürzt und wild gegen
den Berghang schlägt. Dunkle Wolkenschatten
hängen schwer über dem Wald,
und gleich der sorglosen Jugend überspringt
der geschwollene Strom mit spöttischem
Lachen alle Schranken. Stets
gingen wir fünf Brüder an solchen Regentagen
in den Wald von Chitraka, wilde
Tiere zu jagen. Das waren schöne Zeiten.
Unsre Herzen tanzten zum Trommelwirbel
der grollenden Wolken. Der
Wald hallte wider von den Schreien der
Pfauen. Durch das Klatschen des Regens
und das Rauschen des Wasserfalles
konnte das ängstliche Wild unsre Schritte
nicht hören. Die Leoparden ließen ihre
Spuren in der nassen Erde zurück und
verrieten so ihr Lager. War die Jagd vorüber,
so forderten wir uns auf dem Heimweg
gegenseitig heraus, reißende Ströme
zu durchschwimmen. Ein ruheloser Geist
wohnt in mir, ich habe Sehnsucht nach
der Jagd.
Chitra
Erst erlege das Wild, das Du jetzt verfolgst.
Bist Du gewiß, daß das verzauberte
Tier, das Du jagst, unbedingt gefangen
werden muß? Nein, noch nicht.
Wie ein Traum entgleitet Dir das wilde
Geschöpf, wenn es Dir am nächsten
scheint. Sieh, wie der rasende Regen den
Wind jagt und tausend Pfeile hinter ihm
her sendet. Und doch bleibt der Wind
frei und unbesiegt. So ist auch unser Waidwerk,
Geliebter! Du jagst nach der schnellschreitenden
Schönheit und versendest
all Deine Pfeile nach ihr, und doch flieht
dies zaubrische Wild stets frei und unberührt
davon.
Arjuna
Hast Du kein Heim, Geliebte, wo liebende
Herzen Deiner Rückkehr harren?
Ein Heim, dem Du durch sanftes Dienen
Lieblichkeit verliehst, und dessen Licht
erlosch, als Du es für diese Wildnis verließest?
Chitra
Was fragst Du? Sind die Stunden der
Lust vorbei, in denen es kein Denken
gab? Weißt Du nicht, daß ich nur die bin,
die Du vor Dir siehst? Mein Blick geht
nicht über das Jetzt hinaus. Der Tau auf
den Blättern der Kinsuka-Blüte hat weder
Namen noch Schicksal, und gewährt keiner
Frage Antwort. Sie, die Du liebst,
gleicht jener vollkommenen Tauperle.
Arjuna
Verbindet sie kein Band mit der Welt?
Ist sie nur ein Stück Himmel, das ein lustspendender
Gott unachtsam zur Erde
fallen ließ?
Chitra
Ja.
Arjuna
Ach, darum ist mir immer, als müßte
ich Dich verlieren. Mein Herz ist unbefriedigt,
meine Gedanken friedlos. Komm
näher zu mir, Unerreichbare! Ergib Dich
und dulde die Fesseln, die da heißen:
Name, Heim, Sippe. Laß mein Herz Dich
ganz umschließen, und mit Dir leben in
der ruhigen Sicherheit der Liebe.
Chitra
Warum mühst Du Dich vergebens, die
Farben der Wolken, den Tanz der Wellen,
den Duft der Blumen zu haschen und
zu halten?
Arjuna
Herrin mein, glaube nicht, daß Du mit
Luftgebilden die Liebe befriedigen kannst.
Gib mir etwas, woran ich Halt finde,
etwas, das die Lust überdauert, das sich
im Leid bewährt.
Chitra
Mein Held, noch ist das Jahr nicht zu
Ende, und schon bist Du müde! Ja, nun
erkenne ich die himmlische Güte, die den
Blumen ein kurzes Leben gab. Wäre ich
mit den Blumen des letzten Frühlings
verwelkt und gestorben, ich wäre mit
Ehren dahingegangen. Doch meine Tage
sind gezählt, Geliebter. Schone mich
nicht, saug allen Honig aus mir, da Du
voller Angst bist, daß Dein armes Herz
wieder und wieder zurückkommt voll unerfüllter
Wünsche und Begierden, gleich
der durstigen Biene, wenn die Sommerblumen
welk im Staub liegen.
SIEBENTE SZENE
IM TEMPEL
Madana
Heute ist Deine letzte Nacht.
Vasanta
Des Frühlings unerschöpfliche Schatzkammer
wird morgen die Lieblichkeit
Deines Körpers zurücknehmen. Die rosige
Farbe Deiner Lippen wird in einem
Asoka-Blütenpaar neu aufblühen, frei von
der Erinnerung an Arjunas Küsse. In hundert
duftenden Jasmin-Blumen wird der
matte, weiße Glanz Deiner Haut auferstehen.
Chitra
O Götter, erhört mein Gebet! Laßt
meine Schönheit in der letzten Stunde
dieser Nacht am hellsten erstrahlen, wie das letzte Aufleuchten einer sterbenden Flamme.
Madana
Dein Wunsch sei Dir gewährt.
ACHTE SZENE
IM WALD
Die Dorfleute
Wer wird uns nun beschützen?
Arjuna
Was soll's, welche Gefahr droht Euch?
Die Dorfleute
Die Räuber kommen in Scharen aus den nördlichen Bergen, wie die Flut des
Gebirgsstromes, die unser Dorf verheert.
Arjuna
Habt ihr keine Wächter in Eurem Königreich?
Die Dorfleute
Chitra, die Königstochter, war der
Schrecken aller Bösen. Als sie noch in
diesem glücklichen Lande weilte, kannten
wir keine Furcht außer einer: sterben
zu müssen. Nun ist Chitra auf einer Pilgerfahrt,
und niemand kennt ihren Aufenthalt.
Arjuna
Ist der Hüter dieses Landes ein Weib?
Die Dorfleute
Ja, sie ist uns Vater und Mutter zugleich.
(Die Dorfleute entfernen sich.
Chitra tritt ein.)
Chitra
Warum sitzest Du hier so einsam?
Arjuna
Ich versuche mir vorzustellen, was für
eine Frau die Prinzessin Chitra sein mag.
Viele Menschen erzählen viele Geschichten
von ihr.
Chitra
Ach, sie ist nicht schön, sie hat nicht
meine schönen Augen, die dunkel sind
wie der Tod. Mit ihrem Geschoß kann
sie jede Scheibe durchbohren, nur nicht
das Herz unsres Helden.
Arjuna
Sie sagen, an Tapferkeit sei sie ein
Mann, und ein Weib an Zärtlichkeit.
Chitra
Und das gerade ist ihr größtes Unglück.
Das Weib, das nur Weib ist, das mit
seinem Lächeln, mit seinen Seufzern, und
mit zarten Liebkosungen die Herzen der
Männer einspinnt, ist allein glücklich.
Was frommt ihr Weisheit und große
Taten? Hättest Du die Prinzessin nur
gestern sehen können, im Hof von Shivas
Tempel, der am Waldpfad liegt, Du
wärest vorübergegangen ohne sie eines
Blickes zu würdigen. Bist Du denn weiblicher
Schönheit so überdrüssig, daß Du
in ihr männliche Kraft suchst?
Aus grünen Blättern, feucht vom
sprühenden Gischt des Wasserfalls, habe
ich unser Bett zur Mittagsrast bereitet,
in nachtdunkler Grotte. Die Kühle des
weichen grünen Mooses, das dicht den
tropfenden Stein bedeckt, küßt dort Deine
Augen in Schlaf. Laß Dich dorthin geleiten.
Arjuna
Nein, heute nicht, Geliebte.
Chitra
Warum nicht heute?
Arjuna
Ich habe von einer Räuberhorde gehört,
die in die Ebene gekommen ist. Ich
muß gehen meine Waffen bereiten, um
die erschreckten Dorfleute zu beschützen.
Chitra
Du brauchst Dich nicht um sie zu
sorgen. Prinzessin Chitra hat starke Wächter
an den Grenzpässen aufgestellt, ehe
sie ihre Pilgerfahrt begann.
Arjuna
Nur für kurze Zeit laß mich das Kriegshandwerk
eines Kshatriya üben. Mit
neuem Ruhm will ich diesen müßigen Arm
bedecken, damit er Deinem Haupt ein
würdigeres Kissen sei.
Chitra
Doch, wenn ich mich weigere Dich
gehen zu lassen, wenn meine Arme Dich
umwunden halten? Würdest Du Dich
roh von mir losreißen und mich verlassen?
So geh! Aber wisse, daß die Liane —
einmal entzweigebrochen — nie wieder
zu einem Ganzen wird. Geh, wenn Dein
Durst gestillt ist. Doch wenn nicht, denke
daran, wie unbeständig die Göttin der
Lust ist und daß sie nicht wartet auf den
Menschen. Bleib noch eine Weile, Herr!
Sage mir die unruhigen Gedanken, die
Dich quälen. Wer nahm heute Deine
Seele gefangen? War es Chitra?
Arjuna
Ja, es ist Chitra. Mich nimmt wunder,
um welches Gelübdes willen sie auf die
Pilgerfahrt gegangen ist. Was mangelt
ihr?
Chitra
Was ihr mangelt? Ja, hat sie denn je
etwas besessen, die Unglückliche? Es sind
ja ihre eigensten Fähigkeiten, die sie mit
Gefängnismauern umschließen und ihr
Frauenherz in einer kahlen Zelle gefangen
halten. Verdunkelt ist diese Frau und
unerfüllt. Ihre Weibesliebe muß sich mit
einem Lumpenkleide bescheiden, denn
Schönheit blieb ihr versagt. Sie gleicht
dem Geist eines freudlosen Morgens. Sie
sitzt auf steinigem Berggipfel und dunkle
Wolken haben ihr Licht ausgelöscht.
Frag mich nicht nach ihrem Leben.
Seine Geschichte klingt dem Ohr des
Mannes nicht lieblich.